Antwort auf Leserbrief "Nicht vor unserer Haustür"

Grau gekennzeichnet: In der LZ vom 19.06.2014 gekürzte Teile

 

Sehr geehrte Frau Göbel,

Ihre Befürchtungen hinsichtlich der Errichtung neuer Windenergieanlagen (WEA) im Gemeindegebiet von Schlangen kann ich verstehen. Ohne sachliche Aufklärung, nur mit Beeinflussung und in vielen Fällen auch gezielter Fehlinformation aus der Hand großindustrieller Energieerzeuger und deren Lobbyisten stehen die Einwohner wie Don Quixote vor den Windmühlenriesen.

Dürfen irgendwelche Investoren Ihre Heimat „verschandeln“? Bisher haben wir unseren Strom u. a. auf Kosten der Bewohner in Nachbarschaft des Kernkraftwerks Grohnde, des Kohlekraftwerks Lahde bei Petershagen oder der Braunkohlentagebaue und -kraftwerke bei Aachen liefern lassen. Einfach aus der Steckdose, was hinter dem Kabel kommt: aus den Augen, aus dem Sinn. Heute denken die Menschen mehr und mehr darüber nach: über 80 % der Bevölkerung steht hinter der Energiewende. Sie sind überzeugt, dass wir dringend eine Abkehr von Energiegewinnung aus fossilen Energieträgern benötigen. Dass Kernenergie von Menschen nicht beherrscht werden kann, haben wir alle erfahren.

Ja, WEA sollten nicht anonym durch irgendwelche Investoren aufgestellt werden. Das sollten wir Bürger z. B. in Energiegenossenschaften selbst in die Hand nehmen, der Ertrag geht dann an die Menschen, in deren Nähe die Anlagen stehen. Diese Menschen reden konstruktiv mit und sie erfreuen sich täglich daran, dass sich ihr „Windrad" dreht. Für sie und für junge Menschen sind WEA einfach ein normaler (Studie von Prof. Wolf, Hochschule Ostwestfalen-Lippe*1) oder sogar ein positiv besetzter Anblick.

Es ist gesetzlich festgelegt, dass WEA vorübergehend abgeschaltet werden müssen, wenn deren Schlagschatten mehr als 30 Minuten täglich auf ein Wohnhaus fällt. Hierzu werden bei jeder einzelnen Anlage im Vorfeld Untersuchungen angestellt. Und bei einem Abstand von 200 Metern (üblich sind mehr als 300 m Abstand zu Wohnbebauung) erzeugen moderne Anlagen weniger als 60 dB Schall; weniger als Vogelgezwitscher und weniger als eine leise Unterhaltung.

Für das Fundament einer WEA ist eine Fläche bis 25 m Durchmesser nötig. Die Anlagen sind zu 90 % recyclebar. Mit jeder zusätzlichen WEA kann Braunkohlestrom aus unserem Netz verdrängt werden. Wenn wir uns die durch Braunkohletagebaue zerstörte Landschaft im Rheinland und in der Lausitz ansehen, stellt sich die Frage, wieviele Tiere (und Menschen) von dort vertrieben oder gestört wurden und werden. Die Natur dort kann nicht wieder hergestellt werden. Das ausgestoßene Gift ist auch in unserer Atemluft.

Eine dezentrale regenerative Energieversorgung bedeutet weniger Überlandleitungen, lokale Wertschöpfung, niedrigere Energiepreise, Gewerbesteuereinnahmen, Arbeitsplätze*² und die Erträge können den Bürgern zugute kommen. Per Sankt-Florians-Prinzip werden wir von all den Vorteilen nicht viel haben. Einspruch erheben ist eine Möglichkeit. Den eigenen Energieverbrauch aufs Minimum zu senken (Stromverbraucher, aber auch Heizung und Auto) und selbst Strom zu produzieren (und ggf. zu speichern), ist die andere. So kann unsere persönliche Energiewende aussehen.

 

*1: http://www.energieagentur.nrw.de/wenn-windkraft-auch-noch-schoen-sein-soll-25387.asp?find=

*²: Einer Prognose des Bundesumweltministeriums zufolge werden im Bereich Erneuerbare Energien bis 2020 etwa 130.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. 

Beschäftigte 2020: 500.000 (Prognose Statista)

Bildquelle: Peter Maiwald (MdB)

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