Kluge Abgabe für alte Klimakiller

Die Abgabe für Kohlekraftwerke ist überfällig. So lässt sich der Kohleüberschuss am Strommarkt beseitigen.

Eon-Kohlekraftwerk Scholven

Claudia Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).Kommentar von Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in der Zeitschrift "Capital"

Wer heute den Griechen mangelnden Reformwillen vorwirft, verweist dabei gern auf die harten Einschnitte, denen sich Deutschland zu Anfang des Jahrtausends unterzogen habe. In der nostalgischen Rückschau ist die Agenda 2010 das segenreichste Projekt von Kanzler Gerhard Schröder gewesen. Vergessen wird wie viel Häme er dafür einstecken musste – und verdrängt, dass er dafür abgewählt wurde. Die lautesten Buhrufe kamen aus der eigenen Partei.

Auch jetzt wird der aktuelle SPD-Chef Sigmar Gabriel von den eigenen Genossen unter Feuer genommen, weil er alte Kraftwerke mit einer Klimaabgabe belegen will: Sie toben und fahren in alter Revoluzzer-Manier alles auf, was sie zu bieten haben. Der Druck wird stufenweise von unten nach oben weitergegeben: von der Basis über die Düsseldorfer Landtagsfraktion zur NRW-Landesregierung und schließlich an die Bundesregierung – die Ansprechpartner sind überall SPD-Genossen. Doch auf diese Weise bekommt der innerparteiliche Flügelkampf zwischen Kohlekumpels und zukunftsgewandten Klimarettern ein gänzlich anderes Gesicht.

Das vorlaute „Wir hier unten“ gegen „Die da oben“ täuscht eine volksnahe Graswurzel-Revolution bloß vor; in Wahrheit ist es die geschickte Maskierung der ewig gestrigen Kohlefreunde. Denen geht das Wort Strukturwandel zwar schon seit Beginn der 1990er-Jahre flott über die Lippen. Gern ließ man sich im Ruhrgebiet 2010 auch als Kulturhauptstadt Europas dafür feiern – natürlich hochsubventioniert. Doch in Wahrheit sind die Lobbyisten der Vergangenheit am Wandel kein bisschen interessiert. Erst recht nicht am Klimawandel, dem sie floskelhaft „natürlich“ entgegenwirken wollen, allerdings nur mit Worten und nicht mit Taten.

DEUTSCHLAND SCHWIMMT IM STROM

SPD-Chef Gabriel will in seiner Funktion als Bundesenergieminister jetzt endlich zur Tat schreiten und alte ineffiziente KohlekKraftwerke durch erneuerbare Energien und auch Kraft-Wärme Kopplung ersetzen. Ein längst überfälliger Schritt, wenn die Bundesregierung ihr Klimaschutzziel ernst nimmt und die deutschen CO2-Emissionen endlich senken will. Übrigens ein Anliegen, dass die große Mehrheit der Bürger teilt.

Viele Studien haben wiederholt detailliert dargelegt: Alte, ineffiziente Kohlekraftwerke produzieren nicht nur viele Treibhausgase, sondern sorgen auch für einen enormen Stromüberschuss. Deutschland schwimmt derzeit im Strom und verscherbelt ihn notgedrungen zum Billigtarif an der Börse. Nur mit einer Marktbereinigung kann eine Verknappung des Angebots erzielt werden – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Börsenpreise.

Zudem eignen sich die alten Kohlekraftwerke – anders als effiziente und flexible Gaskraftwerke – in keiner Weise als Brückentechnologie für eine nachhaltige Energiewende. Aufgrund ihrer starren Betriebszeiten produzieren sie immer gleich viel Strom, egal wie viel der Markt gerade braucht. Kurz, wenn die ältesten, ineffizientesten Kohlekraftwerke vom Markt verschwinden, könnte eine doppelte Dividende erzielt werden: Durch die Marktbereinigung würden die Strompreise an der Börse auf ein vernünftiges Maß steigen, ohne die Verbraucher zu belasten – da die EEG-Umlage bei einem steigenden Börsenstrompreis sinkt – und zugleich könnte man die Klimaziele erreichen.


SCHWACHE ARGUMENTE DER GEGNER

Angesichts solch nüchterner Berechnungen bleibt den Gegnern nur die radikale Emotionalisierung. Also rufen sie den Untergang des Abendlandes aus: Ohne Braunkohle würde es massive Blackouts geben und dem Klimaschutz sei ohnehin nicht geholfen. Zudem würden viele Menschen ihre Arbeit verlieren und Ökostrom könne sich nur der schwäbische Zahnarzt leisten. Anders gesagt, die Argumente der Kohlefreunde sind die altbekannten Joker aus der Politjargonkiste: Arbeitsplätze, bezahlbare Energie und Versorgungssicherheit.

Per Faktencheck ließe sich schnell das Gegenteil beweisen: Mit Gabriels Vorschlag gehen in Deutschland genauso wenig die Lichter aus wie bei der jüngsten Sonnenfinsternis. Die Preisdebatte wird völlig zu Unrecht auf dem Verbraucherrücken geführt, denn vom niedrigen Börsenpreis profitieren bislang allein die energieintensive Industrien und nicht die Verbraucher, weil unter fadenscheinigen Vorwänden die Kostenvorteile nicht an die Privatkunden weitergegeben werden. Ob mit oder ohne „alte Kohlemöhren“ die Energiekosten der Endverbraucher sind unterm Strich dieselben.

Und was die Arbeitsplätze angeht, kann höchstens Altersstarrsinn den Blick auf die Realität verhüllen: Schon heute gibt es fünfmal mehr Beschäftigte im Bereich der erneuerbaren Energien als in der Kohleindustrie. Wenn man zu den erneuerbaren Energien die Energieeffizienz hinzunimmt, würden es weitaus mehr Beschäftigte sein. Der Kohlekumpel von heute kann als Experte zum Beispiel bei der  Kraft-Wärme-Kopplung durchaus sein Brot verdienen – und auch noch die Solarzelle fürs Eigenheim obendrauf.

Die Energiewende bietet enorme wirtschaftliche Chancen. Hartz IV für ineffiziente Kohlekraftwerke ist sicher nicht das, was Deutschland zukunftsfähig macht. Statt neue Subventionen für fossile Energien zu zahlen, sollte besser der Strommarkt aufgeräumt werden.

GABRIEL ZIEHT DIE RICHTIGEN SCHLÜSSE

Gabriels Vorschlag geht deswegen genau in die richtige Richtung. Der Europäische Emissionsrechtehandel ist derzeit ein Totalausfall: Der Markt krankt an zu vielen Zertifikaten und somit einem zu niedrigen Preis für CO2-Zertifikate. Statt 7 Euro pro Tonne CO2 sind 40 bis 60 Euro pro Tonne CO2 nötig, um ausreichend finanzielle Anreize für den Einsatz von Gas- statt Kohlekraftwerke zu geben. Selbst mit einer Reparatur des Emissionsrechtehandels, wie ihn Europa vorsieht und Deutschland glücklicherweise unterstützt, wird der CO2-Preis nicht auf ein ausreichend hohes Niveau steigen, damit der Kohleüberschuss aus dem deutschen Strommarkt verschwindet. Deutschland hat nicht zu wenig, sondern zu viel Strom.

Das hat Bundesenergieminister Gabriel richtig erkannt und endlich die richtigen Schlüsse daraus gezogen: Sein Vorschlag sieht vor, dass alte fossile Kraftwerke eine Art Sonderzahlung leisten müssen. Um negative Wirkungen auf den Europäischen Emissionsrechtehandel zu vermeiden, sollen überschüssige CO2-Emissionszertifikate der alten Kraftwerke nach diesem Vorschlag aus dem Markt entfernt werden. Hier ist lediglich zu prüfen, ob solch ein Eingriff tatsächlich mit dem EU-Emissionsrechtehandel vereinbar ist.

Deutschland hat – vermutlich mal wieder früher als anderer europäische Länder – verstanden, dass wir den Strukturwandel hin zu einem Umbau der Energieversorgung mit erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz endlich einleiten und in den kommenden Jahrzehnten konsequent umsetzen müssen. Das Energiesystem muss flexibler, intelligenter und ganzheitlicher werden. Dazu werden intelligente Netze und mittelfristig auch Speicher viel dringender benötigt als fossile Energien und alte Strukturen.

Es ist mehr als wichtig und richtig, dass der Bundesenergieminister endlich mutig, entschlossen und tatkräftig zur Tat schreitet, um die Klimaziele im Stromsektor zu erfüllen und den Markt zudem effizienter als bisher funktionieren zu lassen. So schmerzlich sie für einzelne sein mag, auf diese „Energie-Agenda“ wird man hoffentlich bald ebenso stolz blicken wie auf frühere Reformen.

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